- Problematische Warnung der 11.000
Es war eine der großen Nachrichten der Woche, die „Warnung von
11.000 Wissenschaftlern vor einem Klimanotstand“. Fast alle Medien
berichteten, meist an prominenter Stelle. Kläglich war das, auch weil
der Aufruf dem Wissenschaftsethos widerspricht.
Der Klimawandel, angetrieben von Abgasen des Menschen, birgt
erhebliche Risiken für viele Weltregionen. Umweltveränderungen sind
messbar: Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt, Hitzewellen werden häufiger. Welche Folgen noch zu erwarten sind, ist Gegenstand der Forschung; der UN-Klimabericht dokumentiert zahlreiche Risiken, gleichwohl erhebliche Wissenslücken. Der Klimawandel findet sich zurecht oben auf der Agenda der Vereinten Nationen.
Doch die Warnung der 11.000 Wissenschaftler ist aus mehreren
Gründen problematisch: Sie gründet auf einem mangelhaften Aufsatz. Sie
widerspricht dem Ethos der Wissenschaft. Es gibt Zweifel an den
Unterzeichnern. Und die Unterzeichner erliegen einer anrüchigen
Versuchung.
Inhaltliche Mängel des Aufrufs
Das Spektakel um die Warnung der 11.000 erweist dem Thema einen
Bärendienst. Es ist ein Tiefschlag für die Glaubwürdigkeit der Forschung
(und der Medien), nicht nur weil die Unterzeichnerliste offenbar
ungeprüft veröffentlicht wurde – auch „Mickey Mouse“ hat unterschrieben.
Dass zahlreiche Vertreter von Umweltverbänden unter den Unterzeichnern
sind und viele andere ohne Berufsnennung, lässt an ihrer
Wissenschaftlichkeit zweifeln. Aber auch viele Forscher, deren
angegebene Fachrichtung eine Mitarbeit am Klimathema anzeigen, dürften
mit der Arbeit ihre Kompetenz überschritten haben: Sie bearbeiten
Detailfragen, die eine kompetente Beurteilung aller Aussagen des
Aufsatzes nicht unbedingt nahelegen.
Schwerer aber wiegen inhaltliche Mängel des Aufrufs. Aufgeführt
werden Statistiken über die Änderungen menschlicher Aktivitäten, die
Einfluss auf das Klima haben und zudem gemessene Umweltveränderungen.
Suggeriert wird beispielsweise, dass eine zunehmende Versorgung der
Weltbevölkerung mit Strom und der Zuwachs an Wohlstand, problematisch
seien. Angesichts von 820 Millionen Hungernden in der Welt und gut einer
Milliarde, denen Strom fehlt, eine zynische Aussage.
Die Vereinten Nationen haben das Gegenteil berichtet
Grobe Mängel im Aufsatz vergrößern das Problem: Eine Grafik etwa
zeigt, dass die Welt massiv an Wald eingebüßt habe – eine grobe
Irreführung. Erst im August haben die Vereinten Nationen das Gegenteil
berichtet: Die Vegetation hat weltweit über die vergangenen Jahrzehnte
stetig zugenommen. Eine weitere Grafik zeigt, dass Wetterkatastrophen
häufiger geworden wären – ebenfalls ein Widerspruch zu UN-Daten, die
bislang keinen globalen Klimaeffekt bei Wetterkatastrophen zeigen.
Während der UN-Klimareport regelmäßig überzeugend darlegt, warum die
Erwärmung Umweltrisiken vergrößert, lassen die Darstellungen dieser von
den 11.000 unterzeichneten Studie kaum einen glaubwürdigen Schluss zu;
angebliche Zusammenhänge werden nicht erläutert. Stattdessen gibt es
eine Liste mit Forderungen: Die Ernährung sollte auf Pflanzen umgestellt
werden, und die Weltbevölkerung „muss stabilisiert, idealerweise
reduziert werden“, heißt es etwa.
Moralische Pflicht der Wissenschaft gibt es nicht
Bereits der erste Satz des Aufsatzes ist problematisch:
„Wissenschaftler haben eine moralische Pflicht, die Menschheit deutlich
vor jeder katastrophalen Bedrohung zu warnen“, schreiben die Autoren.
Abgesehen davon, dass die „Schilderung der Lage“ in dem Aufsatz
misslungen ist – jene moralische Pflicht der Wissenschaft gibt es nicht.
Das Gegenteil ist richtig: Politische Forderungen vergiften die
Wissenschaft.
Die Wahrheitsfindung der Wissenschaft bedarf politischer Freiheit,
soziale Verpflichtungen drängen die Forschung in Ideologien. Die
Politisierung der Klimatologie hat bereits dazu geführt, dass sich viele
Forscher mit Kritik an Ergebnissen und mit Zweifeln zurückhalten, um
nicht in unliebsame politische Gesellschaft gestellt zu werden. Die
Klimaforschung ist längst nicht mehr so frei, wie sie laut
grundgesetzlichem Credo eigentlich sein sollte. Auch sie sollte
ausschließlich der Wahrheitsfindung dienen, nicht der Mehrheitsfindung.
Politisierung des eigenen Wissens
Selbst eindeutige Forschungsergebnisse dürfen niemals politische
Entscheidungen vorwegnehmen. Der Kampf gegen den Klimawandel steht in
Zielkonflikten mit anderen fundamentalen gesellschaftlichen Problemen,
etwa Nahrungsmangel und Energiemangel – nicht Umweltforscher haben
zwangsläufig die Lösungen für die besten Kompromisse. Die Gesellschaft
muss auf Basis von nüchternem wissenschaftlichem Sachstand entscheiden,
nur dann finden politische Maßnahmen Akzeptanz. Weisungen einer
akademischen Elite mit Autoritätsanspruch hingegen diskreditieren die
Demokratie.
Dass es viele Umweltwissenschaftler derzeit zu Appellen drängt, mag
angesichts des Klimawandels verständlich erscheinen. Uneigennützigkeit
braucht dennoch nicht unterstellt werden: Wahrnehmung ist auch in der
Forschung die wichtigste Währung – und Politisierung des eigenen Wissens
hilft, relevant zu werden. Diese Versuchung ist menschlich, dass ihr
aber sogenannte Qualitätsmedien unkritisch nachgeben wie bei der Warnung
der 11.000, spottet ihrer Kontrollfunktion.
Quelle: Cicero