Köstlich!
Der Moralismus unserer Tage
nervt gewaltig und bringt auch noch furchtbaren Kitsch hervor
Wenn es um den Erhalt des Planeten geht, kennt das
Gutgemeinte keine Grenzen mehr. Aber manchmal steckt das Böse im vermeintlich
Guten.
Norbert Gstrein 18.9.2019, in der NZZ
Er ist erst dreizehn, ein Kind, doch ich habe Angst
vor ihm. Er ist ein Freund meiner Tochter, und ich kann ihm nicht gut den
Zutritt zum Haus verwehren, aber abgesehen davon, dass auch sie jetzt richtige
Panikattacken bekommt, wenn er angekündigt ist, schaue ich jedes Mal, dass ich
zeitig das Weite suche und ihm nicht ausgeliefert bin. Denn er erscheint immer
mit einer Agenda, die er dann, durch nichts zu bremsen, in quälenden Monologen
abarbeitet.
Acht Wochen lang waren
es die Plastikhalme, sechs Wochen die Überfischung der Meere, davor die Bienen,
seither ist es die auf seinem Fairphone angezeigte Luftqualität in unserer
Stadt, die er am liebsten von Sekunde zu Sekunde ausposaunen würde. Er war bei
allen Klimademonstrationen und fragt mich jedes Mal, welche Energiewerte unser
Kühlschrank habe, wie wir im Winter heizten und ob ich nicht endlich mein Auto
verkaufen oder noch besser verschrotten lassen wolle, obwohl er zu seinen
Bassgeigenstunden, seinem therapeutischen Schwimmen und seiner Logopädie
selbstverständlich gefahren wird.
Einmal habe ich ihn dabei ertappt, wie er in unserem Mülleimer herumgewühlt, ein Marmeladeglas herausgefischt und es zuerst seiner Mutter triumphierend und dann uns vorwurfsvoll präsentiert hat. Ich habe mich zurückgehalten, ihn nicht ein kleines Arschloch zu nennen, aber ich habe das in dem Augenblick ganz intensiv gedacht und mir Mühe gegeben, ihn für seine Klugheit und Umsicht mit meinem sanftesten Lächeln zu belohnen, das eine Wolfsgrimasse war. Dann hat er mit seiner Automatenstimme gesagt, man werfe kein Glas in den Müll, und ich habe mich bei ihm bedankt und mir freudig ausgemalt, wie ich ihm im ersten unbeobachteten Augenblick einen kräftigen Tritt versetzen würde.
Das Klischee
übertrifft die Wirklichkeit
Er hat einen
Aufnahmeantrag bei Greenpeace gestellt, wo ihm beschieden worden ist, dass er
zu jung dafür sei, aber dass seinem Wunsch bei frühester Gelegenheit
stattgegeben werde, und fliegt dreimal im Jahr nach Amerika zu seinem Vater,
der offenbar klug genug gewesen ist, sich dorthin abzusetzen. Er ist
hochbegabt, versteht sich, und hat eine Lese-, Rechen- und ein halbes Dutzend
anderer Schwächen und natürlich für sie alle und noch für viele andere mehr
einen sogenannten Nachteilsausgleich in der Schule, der ihm zum ewigen Vorteil
gereichen möge, denn solche Leute braucht das Land.
Das hört sich alles
nach einem ziemlichen Klischee an, aber es kommt noch viel schlimmer, weil sich
die Wirklichkeit nicht kümmert, sobald es um Klischees geht, und immer noch
eins draufsetzt, wenn das Schlimme schon das Schlimmste übertroffen hat. Denn
seine Mutter ist Künstlerin, eine von denen, die sich auch so nennen und nichts
dagegen haben, wenn sie Kreative genannt werden, und die Kunst für eine
Unterabteilung der Sozialpädagogik und des Therapeutischen halten.
Sie malt, zeichnet,
töpfert und dichtet für das Gute in der Welt und ist immer auf die eine oder
andere Weise inspiriert oder illuminiert, wenn sie sich nicht gerade mit einem
Wehwehchen bei irgendwelchen Ärzten aufhält. Die Liste dessen, was sie bei sich
festgestellt hat, ist lang, übertroffen nur durch die noch viel längere Liste
aller Auffälligkeiten, die sie bei ihrem kleinen Genie hat feststellen lassen.
Ich weiss nicht, ob
ein Bein von ihm zu kurz ist oder das andere zu lang, ich weiß nicht, ob er
schielt oder kurz- oder weitsichtig ist oder überhaupt blind, ob er taktile
Störungen hat oder in jungen Jahren schon zu Depressionen neigt, was mich nicht
wundern würde, aber er hat für alles Atteste, die seine Mutter wahlweise
vorlegen kann, um ihm, je nachdem, irgendwo Zutritt zu verschaffen oder
woanders seine Abwesenheit zu entschuldigen.
Er ist von frühester
Kindheit an darauf trainiert, seine Schwächen als Stärke einzusetzen, und weiß
in jeder Situation genau, dass ihm jemand beispringen wird, wenn er nur laut
genug schreit, und dass er dann mit seiner Vielzahl von Nachteilen in hundert
von hundert Fällen darauf vertrauen kann, dass er schon zu seinem Vorteil
kommt.
Viel mehr gäbe es dazu
auch nicht zu sagen, hätte er nicht unlängst bei einem Abendessen dem Ganzen
die Krone aufgesetzt und hätte ihn seine Mutter dabei nicht so selig
angelächelt, dass ich Serviette und Besteck auf den Tisch gelegt habe,
aufgestanden und so lange um den Block gegangen bin, bis meine Wut verraucht
war.
Dummheit ist
nicht nur dumm
Es war eines dieser
wohlfeilen politischen Gespräche gewesen, bei denen man sich gegenseitig
versichert, auf welcher Seite man steht, und obwohl Trump als Lackmustest
längst nichts mehr taugt, war es zuletzt doch einmal mehr um ihn gegangen, und
alle hatten ausgiebig Gelegenheit gehabt, ihren Abscheu und ihren Ekel
kundzutun und sich an allerlei anderen Tautologien das Hirn bis zur
Unbrauchbarkeit matschig zu reden.
Dann war es eine Weile
still gewesen, und in die Stille hinein fragte das kleine Genie, warum ihn
eigentlich niemand umbringe. Jetzt richteten sich die Augen auf ihn, und er
sagte, es seien in der Geschichte doch schon so viele amerikanische Präsidenten
umgebracht worden, warum also niemand den Ernst der Lage erkenne, seinen Mut
zusammennehme und Trump umbringe.
Ich dachte wieder
nichts Vorteilhaftes von ihm, und für mich wäre es damit auch getan gewesen,
aber in derselben Sekunde sah ich den auf ihn konzentrierten Blick seiner
Mutter, und ich schwöre, ich habe nie eine grössere Seligkeit und nie ein
grösseres Glück gesehen, einen solchen Bastard auf die Welt gebracht zu haben.
Draussen machte ich
mir schnell ein paar Notizen, die ich später kaum mehr zu entziffern vermochte.
Ich wollte irgendwann einen Aufsatz darüber schreiben, ob das Gute nicht besonders
böse sein konnte, ob dumm sein nicht nur dumm, sondern vielleicht auch böse war
und ob nicht womöglich das Böseste im Kitsch des Guten steckte,
aber zunächst war ich nur damit beschäftigt, mich zu beruhigen und nicht zurück
hineinzugehen und das kleine Genie zur Rede zu stellen.
Er war erst dreizehn,
ein Kind, ja, doch ich hatte Angst vor ihm und hoffte, dass er in zehn oder
zwanzig Jahren immer noch so genau wusste, wen er umbringen wollte, wenn er
schon so früh damit anfing, und dass er seine Allmachtsphantasien am Ende nicht
vielleicht grosszügiger auslegte, wenn er endlich der Revolutionär wäre, den
seine Mutter so sehnlich herbeiwünschte, selbstverständlich ohne jedes Risiko
für ihn.
Bei einem anderen
Abendessen, nur wenige Wochen davor, hatte sie erzählt, sie habe von Obama
geträumt, und obwohl ich natürlich weiss, dass niemand etwas für seine Träume
kann, verhält es sich mit dem Erzählen anders. Man musste so etwas ja nicht
gleich in die Welt setzen, aber kaum hatte sie das gesagt, sagte sie auch noch,
sie hätten sich gegenseitig Mut machende Worte zugesprochen, sie und Obama, und
für mich war das wieder einmal einer der Augenblicke, in denen mir ein Leben
auf einem anderen Planeten als einziger Ausweg erschien.
Wenn es wenigstens ein
feuchter Traum gewesen wäre und sie Sex mit Obama gehabt hätte, aber nicht
diese verlogene Selbstgerechtigkeit! Zwar schaute die Tischrunde zuerst
betreten zu Boden, doch dann waren sich schnell alle einig, dass es etwas Gutes
sei, von der Demokratie und vor allem für die Demokratie zu träumen, und dass
nicht nur das Träumen von der Demokratie, sondern auch die Demokratie selbst
und das Gute etwas Gutes seien.
Wieder alles
richtig gemacht
Ich sah sie einen nach
dem anderen an, eigentlich besonnene Leute, die sich aber verhielten wie
Kindergartenkinder im Stuhlkreis, und stellte mit Schrecken fest, dass sie
Obama sträflich unterschätzten und wirklich glaubten, dass er nichts lieber täte,
als mit ihnen zusammenzusitzen und zu überlegen, ob sie gleich alle in die
Sandkiste wollten oder vorher am besten noch ein paar schöne Lieder singen.
Im nächsten Augenblick
musste ich an die Fotos denken, auf denen man ihn im sogenannten Situation Room im Weissen Haus mit
Hillary Clinton, Joe Biden und anderen Mitgliedern seines
Sicherheitsteams sieht, wie sie das Kommandounternehmen verfolgen, das zur
Ausschaltung von Usama bin Ladin führen sollte, und so gespenstisch diese
Zusammenkunft sein mochte, schauten sie doch bei der vermutlich gezielten
Tötung eines anderen Menschen zu, hatte es etwas extrem Beruhigendes, auf
diesem Bild Erwachsene zu sehen und nicht Kinder.
Das kleine Genie sass
dabei und sah seine Mutter an, während sie ihren Traum erzählte. Er war schon
ganz unruhig und konnte es kaum erwarten, selbst zum Zug zu kommen, und als es
endlich so weit war, sagte er, dass er Obama liebe und schon immer geliebt
habe. Wieder das Strahlen seiner Mutter, wieder zwölf Punkte von zwölf
möglichen, wieder den Ball mitten ins leere Tor gedroschen, wieder alles
richtig gemacht.
Der Schriftsteller Norbert
Gstrein lebt in Hamburg. In diesem Sommer ist im Hanser-Verlag sein Roman «Als ich
jung war» erschienen.
Quelle: Neue Zürcher Zeitung
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