Umweltökonom Axel Ockenfels „Deutschland gilt beim
Klimaschutz als Negativbeispiel“
Am
Freitag, 20.09.2019, entscheidet die Bundesregierung, wie sie künftig ihre Klimaziele
erreichen will. Im Interview rechnet der Umweltökonom und Regierungsberater
Axel Ockenfels mit der bisherigen Klimapolitik ab.
Axel
Ockenfels' Kritik an der Klimapolitik der Bundesregierung dürfte vielen Grünen
nicht gefallen. Dabei sei er „auch Volkswirt geworden, um zur Lösung der
Klimaprobleme beizutragen“, stellt der Spieltheoretiker der Universität Köln
klar. Ockenfels gehört zum Beraterkreis des Klimakabinetts, das über Monate
Gesetze zum Klimaschutz ausgearbeitet hat – und am Freitag in Berlin zur
entscheidenden Sitzung zusammenkommen wird.
WirtschaftsWoche: Herr Ockenfels, der Anteil von Ökostrom am
Gesamtverbrauch ist kontinuierlich gestiegen auf 44 Prozent im ersten Halbjahr,
die CO2-Emissionen sind gegenüber 1990 um ein Viertel gesunken. Sind wir nicht
auf einem guten Weg?
Axel Ockenfels: Auf internationalen Konferenzen wird Deutschland oft als
Beispiel angeführt – aber als Negativbeispiel. Was wir in Sachen Energiewende
tun, hat mit effektivem Klimaschutz nur wenig zu tun.
Wie bitte?
Wir geben Milliarden für die Förderung Erneuerbarer Energien aus,
aber in den letzten Jahren ist es uns nicht gelungen, entsprechend
CO2-Emissionen zu vermeiden. Die CO2-Emissionen sind sogar gestiegen! Außerdem
tragen wir mit unserer zwar teuren, aber selbstzentrierten nationalen
Klimapolitik nicht viel zum globalem Klimaschutz bei.
CO2-Emissionen in Deutschland (in Kilotonnen)
Quelle:
Das
müssen Sie erklären.
Nehmen
wir den europäischen Emissionshandel. Indem wir Erneuerbare Energien
subventionieren, werden die freiwerdenden Verschmutzungsrechte anderswohin
verkauft und machen dort das Verbrennen von klimaschädlicher Kohle günstiger
und damit attraktiver. Das ist der so genannte „Wasserbetteffekt“ des
Emissionshandels. Aber selbst ohne Emissionshandel ist wohl davon auszugehen,
dass ein Großteil der fossilen Brennstoffe, die wir nicht in Deutschland
verbrennen, lediglich in andere Regionen der Erde gelenkt werden.
Wie kommt das? Und was ist die Lehre daraus?
Klimaschutz muss man global denken. Unilaterale Maßnahmen
verpuffen oft wirkungslos. Zuweilen schaden sie sogar. Einseitige nationale
Verpflichtungen können dazu führen, dass CO2-intensive Produktion ins Ausland
abwandert oder dass wir bei internationalen Klimaverhandlungen nichts mehr
anbieten können. Wenn das passiert, schadet dies nicht nur der Wirtschaft,
sondern schafft auch Anreize für andere Staaten, beim Klimaschutz nicht
mitzumachen.
Was bedeutet das für die Bundesregierung?
Nationale Klimapolitik muss daran gemessen werden, wie andere
Staaten darauf reagieren. Deutschland kann den Klimawandel nicht aufhalten,
sondern allenfalls etwas verzögern. Im vorigen Jahr sind die globalen
CO2-Emissionen um weit mehr angestiegen, als Deutschland insgesamt ausstößt.
Leider ist das Pariser Klimaabkommen auch kein Fortschritt, denn es hat vielen
Sand in die Augen gestreut.
Wieso? Erstmals haben alle Staaten verbindliche Zusagen zum Klimaschutz
gemacht.
Geeinigt haben sie sich auf ein gemeinsames Klimaziel,
aber es gibt keine Einigung darüber, was jedes Land für dieses Ziel leisten
muss. Tatsächlich kann jedes Land tun und lassen, was es will. Im Ergebnis
werden die Emissionen in den nächsten Jahren nicht um die Hälfte fallen, was
nötig wäre, um das Ziel zu erreichen, die Erderwärmung auf zwei Grad zu
begrenzen. Die CO2-Emissionen werden sogar weiter ansteigen. Und zwar selbst
dann, wenn alle Länder ihre selbstgesteckten Ziele zu hundert Prozent erreichen
würden – wonach es übrigens nicht aussieht.
Das klingt alles ziemlich hoffnungslos.
Reine Symbolpolitik, nur damit wir uns irgendwie besser fühlen,
hilft niemandem und verschwendet gewaltige Ressourcen. Doch es geht keineswegs
darum, dass wir weniger machen, sondern das Richtige.
Hilft es, den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid, wie angedacht,
national zu bepreisen, etwa mittels einer CO2-Steuer?
Weltweit sind sich Ökonomen selten so einig wie bei der Bepreisung
von CO2. Es gibt kein besseres und effektiveres Instrument im Kampf gegen den
Klimawandel. Doch während traditionell darauf hingewiesen wird, dass ein
CO2-Preis den Klimaschutz zu minimalen Kosten erreicht und Innovationen anregt,
gibt es sogar einen noch wichtigeren Grund: Ein CO2-Preis erleichtert
internationale Koordination und Kooperation.
Wie das? Alle müssen sich schließlich auf einen Preis einigen.
Nationale CO2-Preise sind transparent und können vergleichsweise
leicht verhandelt und durchgesetzt werden. Da ungleiche Preise klimapolitisch
ineffizient und wirtschaftlich unfair sind, gibt es einen überwältigenden
Konsens, dass sich Preise global angleichen müssen. Ausgleichszahlungen bei
Importen in Länder und Exporten von Ländern ohne CO2-Preis können den
Verhandlungsdruck und den Kooperationswillen zusätzlich stärken.
Eine zentrale Frage, mit der sich das Klimakabinett beschäftigt,
ist die nach der Art der Bepreisung: direkt über eine Steuer oder indirekt,
indem man den Emissionshandel auf weitere Sektoren wie Verkehr und Gebäude
ausweitet. Was ist besser?
Beide Mechanismen sind im Prinzip gleichermaßen marktgerecht. Doch
eine indirekte Bepreisung besitzt viele Nachteile. Emissionshandel ist recht
intransparent und komplex, so dass Lobbyarbeit, Spekulationen und
Manipulationen die Effektivität verwässern. Dazu kommt die bereits erwähnte
unschöne Tatsache, dass durch den „Wasserbetteffekt“ individuelle Anstrengungen
nichts zum Klimaschutz beitragen können, und dass die mit dem Handel
einhergehenden Preisrisiken Investitionen und Innovationen abschrecken. Im
Übrigen wird oft übersehen, dass auch ein Emissionshandel nicht garantieren
kann, das Mengenziel zu erreichen.
Wieso nicht
Wenn der Preis im Emissionshandel zu stark ansteigt, kann die
Politik die Zielmenge nicht glaubwürdig durchhalten und muss das Ziel anpassen.
Umgekehrt gilt, dass Druck entsteht, Emissionsberechtigungen einzuziehen, wenn
der Preis sehr niedrig ist. Die Zielmenge folgt dem Preis. Dies ist auch
richtig so, denn es gibt keinen wissenschaftlichen Grund dafür, dass ein
deutsches CO2-Mengenziel – koste es, was es wolle – exakt erreicht werden soll.
Und schließlich wäre es auch für die globale Koordination einfacher, wenn sich
die Politik endlich stärker auf den Preis fokussieren würde.
Im Emissionshandel könnte eine „Emissions-Zentralbank“, wie sie
dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) vorschwebt, „gewährleisten, dass
Marktteilnehmer verlässliche Preiserwartungen bilden können.“ Sie bekäme „den
Auftrag, durch den Auf- und Abbau von Reserven einen Mindestpreis zu etablieren
und Preisschwankungen auszugleichen.“
Die Idee einer Klimapolitik-Zentralbank finde ich spannend,
wenngleich man die genannten Ziele leichter mit einer direkten Bepreisung lösen
könnte. Anhand dieser Analogie lässt sich auch zeigen, warum das Pariser
Klimaabkommen Sand in die Augen streut: Man stelle sich vor, die Eurozone hätte
sich lediglich auf ein gemeinsames Inflationsziel geeinigt, nicht aber, wie es
erreicht werden soll: Jedes Land könnte selbst entscheiden, wie viel Geld es in
der gemeinsamen Währung ausgibt. Einige (besonders reiche) Länder werden sich
vielleicht freiwillig etwas disziplinieren. Aber offensichtlich wird ein
solches System freiwilliger nationaler Beiträge letztlich kollabieren. Viele
Länder werden mehr emittieren, als insgesamt verkraftbar ist. Dasselbe
Schicksal wird das Pariser Klimaabkommen ereilen, solange nicht auch die
nationalen Beiträge in einem auf Gegenseitigkeit beruhenden System von
Belohnungen und Bestrafungen festgelegt und durchgesetzt werden.
Viele fordern, dass die Einnahmen aus einer CO2-Bepreisung
zumindest in Teilen an die Bürger zurückfließen. Ist das im Emissionshandel
überhaupt machbar?
Eine Rückerstattung funktioniert im Prinzip in beiden Systemen.
Die Regierung könnte Erlöse aus der Versteigerung von Zertifikaten zurückgeben
– entweder pauschal direkt an die Bürger, um einen sozialen Ausgleich zu
gewährleisten, oder über konkrete Klimaschutzprojekte. Das ist auch politisch
erforderlich, wie uns die Gelbwesten-Proteste in Frankreich lehren.
Verschwindet das Geld aus der CO2-Bepreisung im Steuertopf, wäre die Akzeptanz
in der Bevölkerung gering. Es bliebe der Eindruck: Die wollen uns nur
schröpfen.
Quelle: Wirtschaftswoche
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