Komplexe
Wahrheiten
Die Homogenisierung der
Klima-Berichterstattung ist ein Problem
Kommentar Axel Bojanowski 20.09.2019
Am 27. September 2013 um kurz nach 10 Uhr morgens geschah etwas
Besonderes im Brewery Conference Centre in Stockholm. Während Klimaforscher des
UN-Klimarates IPCC den neuen UN-Klimareport vorstellten, meldete sich
überraschend ein Journalist mit einer kritischen Frage – ein Ereignis, das auf
Pressekonferenzen von Klimaforschern kaum einmal zu erleben ist. Der Reporter
einer britischen Zeitung wollte wissen, warum nahezu sämtliche
Computersimulationen das Stocken des globalen Temperaturanstiegs in den
vorherigen 15 Jahren nicht abgebildet hätten. Die Antwort des Chefs der
Weltorganisation für Meteorologie (WMO) fiel ungeübt aus: „Ihre Frage ist
falsch gestellt“, rüffelte er arrogant den Reporter, ohne dessen Frage zu
beantworten.
Der Autor
Axel Bojanowski verfolgt die Klimadebatte seit 1994, seit 1997 als
Wissenschaftsjournalist. Der Diplom-Geologe (Diplom über Klimaforschung) war
bis vor kurzem Wissenschaftsredakteur bei „Spiegel Online“; zum 1. Oktober wird
er Chefredakteur von „Bild der Wissenschaft“ und „Natur“. Er schrieb den „Klimajournalisten-Blues“
und twittert unter @Axel_Bojanowski
Die Frage auf der Pressekonferenz in Stockholm sei zu Unrecht
abgewiesen worden, resümierten zwar Medienforscher zwei Jahre später im
Fachblatt „Nature
Climate Change“ – Klimaforscher sollten ihre Unsicherheiten deutlicher
hervorheben, rügten sie in ihrer Studie und warnten: Die Ratgebersprache der
Wissenschaftler gegenüber der Öffentlichkeit verführe zu Übertreibungen. Die
Mahnung verpuffte. Auf Pressekonferenzen von Klimatagungen zeigen Veranstalter
zur Einstimmung weiterhin Filme von Wetterkatastrophen.
Unangreifbare Wissenschaftler
Journalisten würden von Klimaforschern als „willfährige Sekretäre
betrachtet, die aufschreiben und massentauglich zu drucken haben“, hat
ein Ethnologe beobachtet, der die Klimadebatte seit langem analysiert. Auf
Widerstand stoßen Wissenschaftler selten, sie gelten unter den meisten
Journalisten als sakrosankt, nehmen die unangreifbare Position ein, die früher
Ärzte oder Priester innehatten.
Beim Klimawandel erfährt diese Haltung ihre deutlichste
Ausprägung. Das ist wenig überraschend, haben doch Klimaforscher vor 23 Jahren
eine überzeugende und beängstigende Diagnose präsentiert: Der Mensch wärmt mit
seinen Abgasen das Klima. Die Belege dafür sind vielfältig, gefährliche Folgen
der Erwärmung sind messbar: Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt,
Hitzewellen werden häufiger. Eine weitere globale Erwärmung von mehreren Grad
birgt massive Risiken, das Thema findet sich zurecht zuoberst auf der Agenda
der Vereinten Nationen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich in den meisten Fällen
nicht bestimmen lässt, wie wahrscheinlich die Risiken sind. Auch robuste
Klimaszenarien für einzelne Regionen sind bislang nicht möglich, und
Extremwetterphänomene zeigen häufig noch keinen Trend. Dem braven
Umweltjournalismus gegenüber steht also ein hochkomplexer Wissenschaftszweig
mit Tausenden multikausalen Wechselwirkungen, mit Widersprüchen und
Wissenslücken.
Hohe Risiken, große Unsicherheiten
Bei der Klimatologie handelte es sich um „postnormale
Wissenschaft“ haben die Wissenschaftsphilosophen Silvio Funtowicz and Jerome
Ravetz bereits 1991 festgestellt
– hohe Risiken fallen zusammen mit großen Unsicherheiten. Um sich auf den
Klimawandel sinnvoll vorbereiten zu können, müssten Bürger erfahren, was die
Wissenschaft drüber weiß. Doch hier wird es problematisch.
Die Komplexität des Klimawandels darzustellen, kann Journalisten
in die Ecke der „Klimaleugner“ manövrieren, das ist jene häufig politisch
motivierte Gruppe, die Risiken des Klimawandels herunterspielt, dem Stand der
Forschung widersprechend. Folge des Ausgrenzungsdrucks ist eine beachtliche
Homogenisierung der Berichterstattung zum Klimawandel. Diese Woche erreicht sie
einen neuen Höhepunkt. Medien aus aller Welt, darunter „taz“, „stern“ und
„Spiegel“ haben sich der Initiative „Covering Climate Now“
angeschlossen, die anlässlich des bevorstehenden UN-Klimagipfels am 23.
September „die Berichterstattung über die Folgen der Klimakrise maximieren
soll“. Auch viele andere großen Medien in Europa und Nordamerika, die nicht an
der Kampagne beteiligt sind, haben für Klimawandel-Schlagzeilen dieser Tage ihre
Titelseiten freigeräumt. Munter werden Umweltprobleme aller Art mit oft
unklarem Klimawandelzusammenhang gemischt mit Appellen zum Klimaschutz. Fast
wirkt es, als hätten Umweltverbände die Massenmedien übernommen.
Das Thema Klima scheint der Sphäre der Wissenschaft weitgehend
entschwunden, was angesichts von Umfrageergebnissen unter Journalisten nicht
überrascht: Bei einer Befragung
von 2014 beispielsweise gaben zwei Drittel der Befragten an, sie wollten
mit ihrer Berichterstattung die Notwendigkeit ökologischer Reformen in Politik
und Wirtschaft hervorheben – Überzeugungsarbeit also, statt „sagen, was ist“.
Die Mehrheit wollte laut Umfrage eher über Risiken statt über Unsicherheiten
des Klimathemas informieren. Zwar haben
Medienforscher ermittelt, dass Dramatisierung das Vorhaben konterkariert,
Menschen aufrütteln zu wollen – je gravierender der Klimawandel dargestellt
werde, desto
eher würden sich Leute von dem Thema abwenden. Immer neue Horrorszenarien
schaden demnach dem Klimaschutz.
Vermittler als Verräter
Doch Genauigkeit in der Berichterstattung fällt schwer, weil es
längst um einen Lagerkampf von „Gut gegen Böse“ geht. Journalisten, die nicht
ausdrücklich die Absicht zur Warnung vor dem Klimawandel demonstrieren, sind
verdächtig, auf der falschen Seite zu stehen. Der britische Regierungsberater
Nicholas Stern gab den Ton vor, als er 2006 Gegner seiner hochambitionierten
Klima-Agenda zur „Forces of Darkness“ erklärte.
Und das andere Lager handelt mit ähnlichem Korpsgeist: Die
Verschweiger der Risiken des Klimawandels – häufig „Klimaleugner“ genannt –
sehen sich als aufrechte Kämpfer gegen eine korrumpierte Wissenschaft.
Vermittler zwischen den Lagern gelten als Verräter, sie werden
kurzerhand einer Seite zugerechnet: Weniger Waldbrand? Wer das korrekt
feststellt, muss Klimaleugner sein, also Risiken-Verschweiger. Gefährlicher
Meeresspiegelanstieg? Wer das korrekt feststellt, muss Alarmist sein, also
Unsicherheiten-Verschweiger.
Gut gegen Böse
Moralisierung politischer Konflikte hat den Vorteil, dass sie die
Auseinandersetzung erspart – mit dem Bösen redet man nicht, über das Gute lässt
sich nicht verhandeln. Soziologen sprechen von der „Noble Cause Corruption“,
wenn für die Überzeugung von als wichtig empfundenen Zielen Dinge verschwiegen
werden, die die eigene Argumentation schwächen könnten. Ob es um die Bewahrung
des Vaterlandes in Kriegszeiten oder um den Schutz der Umwelt in
Klimawandelzeiten geht – stets glaubt eine Mehrheit von Journalisten, aus
noblem Grund die Berichterstattung korrumpieren zu müssen. Was die Berichte
dann sicher nicht liefern: ein Abbild der Wirklichkeit.
Verschärfend kommt hinzu, dass Medien sich eher nicht an der
Wissenschaft orientieren, sondern an anderen Medien. Das „Insider-Syndrom“
sorgt dafür, dass omnipräsente Fehler kaum problematisiert werden, weil sie
Redaktionen nicht unter Rechtfertigungsdruck setzen. Korrekturwünsche aus der
Wissenschaft erreichen die Redaktionen selten wegen sachlicher Fehler, sondern
eigentlich nur, wenn Wissenschaftler sich aufgrund eines Berichts in
nachteiliges Licht gerückt wähnen. Hingegen können korrekte Berichte am Pranger
landen, sofern die Mehrheit der Medien in betreffender Sache falsch berichtet,
das Korrekte deshalb als rechtfertigungsbedürftig erscheint
Forscher mit Sendungsbewusstsein
Die Klimaforschung selbst erschwert die Wahrheitsfindung für
Nichteingeweihte, denn die meisten Wissenschaftler halten sich fern von der
öffentlichen Debatte. Der Publizistikforscher Mike Schäfer hat diesen Tatbestand
empirisch
für die Schweiz belegt: Seinen Zählungen zufolge sind es immer dieselben
wenigen Wissenschaftler, die in den Massenmedien vorkommen. Die überwältigende
Mehrheit der Professoren, rund 96 Prozent, erhält so gut wie keine
Medienaufmerksamkeit. Ihre Abwesenheit sorgt für Verzerrung, denn in die
Öffentlichkeit drängen nicht unbedingt jene Gelehrten mit ausgleichendem Gemüt.
Vielmehr sind es oft Forscher mit Sendungsbewusstsein oder Karriereinstinkt,
die mit starken Thesen den Opportunismus der Journalisten füttern.
Diese „Media Scientists“, man könnte sie auch „Spin-Doktoren”
nennen, sind die heimlichen Herrscher der Klimadebatte. Ihre Autorität ziehen
sie aus ihrem Status als Wissenschaftler, der ihren Thesen Glaubwürdigkeit
sichert. Weil auch Wissenschaftler aber weder interessenlos noch fehlerlos
sind, gelangt über die Media Scientists nicht selten ein Spin in die
Massenmedien, der den Stand der Wissenschaft verzerrt. Besonders häufiges
Phänomen ist selektives Zitieren: Die Media Scientists sagen wenig Falsches,
lassen jedoch Fakten außen vor, die ihre These nicht stützen.
Unterschiedliche Thesen von Wissenschaftlern kritisch abzuwägen –
das wäre eigentlich Aufgabe von Journalisten. Nur wenn wissenschaftliche Daten
weder verfälscht noch verleugnet werden, wird sich die Gesellschaft vernünftig
auf den Klimawandel vorbereiten können
Quelle: Über
Medien
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