Wo bleiben die
Gegendemonstrationen?
KOLUMNE: GRAUZONE VON ALEXANDER GRAU am 20. September 2019 (CICERO)
Klimastreik und
Fridays for Future sprechen nicht für die gesamte Gesellschaft, auch wenn das
suggeriert wird. Eine große Zahl von Bürgern steht der Bewegung ablehnend
gegenüber. Doch denen fehlt jede politische Unterstützung. Das wäre Aufgabe der
CDU
Kritik ist die Voraussetzung von Demokratie. Denn ohne Kritik ist
Demokratie überflüssig. Wo scheinbar ohnehin alle einer Meinung sind, braucht
es weder Wahlen noch Abstimmungen. Insofern war der gestrige „Klimastreik“ von
Fridays for Future ein Tiefpunkt in der Demokratiegeschichte der Bundesrepublik.
Nachfragen? Kritische Zwischentöne? Selbstzweifel? Kontroversen? Auch nur eine
zaghafte Debatte? Schön wär’s gewesen. Stattdessen marschierte die Einheitsfront
der Klimabesorgten und Umweltbewegten marschierte, und es waren wirklich alle
dabei: Schüler, Angestellte, Gewerkschaften, Arbeitgeber, Manager, Kirchen,
Parteien und Vereine. Soviel angeblicher Konsens war nie.
Klimabedenken zweitrangig
Dabei zeigen alle Umfragen, dass dieser Konsens nicht existiert.
Die vor wenigen Wochen erschienene Angst-Studie der R+V verwies darauf, dass Umwelt- und
Klimasorgen für einen Großteil der Bevölkerung eher zweitrangig sind. Und auch
eine am Mittwoch veröffentlichte Studie des Allensbacher Institutes für
Demoskopie macht deutlich, dass der Eindruck eines politischen Konsenses
eine mediale Chimäre ist. Zwar stehen 57 Prozent der Bevölkerung den
Freitagsdemonstrationen positiv gegenüber. Das bedeutet aber zugleich, dass 43
Prozent der Menschen hierzu eine distanzierte Haltung haben – immerhin eine
Größenordnung, auf die die ehemaligen Volksparteien voll Neid schauen müssten.
Fragt man konkreter nach, relativiert sich die Begeisterung
der Menschen für Fridays for Future noch weiter: Nur 21 Prozent sind, so
Allensbach, für die Einführung einer CO2-Steuer. Und selbst unter den Jüngeren
ist nur eine Minderheit der Befragten davon überzeugt, dass Einschränkungen und
höhere Belastungen helfen, die Klimaziele zu erreichen. Einig Greta-Land, wie
von Aktivisten, Politikern, Medien und manchem Promi suggeriert? Weit gefehlt.
Woher rührt das Schweigen?
Dennoch traut sich kaum einer, sich dem scheinbaren Konsens und der Massenhysterie entgegenzustellen: nicht die Angestellten
der potenziell betroffenen Industrien, nicht die Gewerkschaften, nicht die
Menschen, die einfache gerne Auto fahren, nicht die CDU und nicht einmal die
Industrie. Wo sind die Gegendemonstrationen? Wo die organisierte Gegenbewegung?
Warum formiert sich das Bürgertum nicht? Woher der Opportunismus? Woher das
Schweigen?
Die Antwort gab vor 179 Jahren der französische Publizist Alexis
de Tocqueville in seinem berühmten, aber leider zu wenigen gelesenen Werk Über
die Demokratie in Amerika: Über die Logik der Selbstzensur in Demokratien
schreibt er dort: „Jeder einzelne lässt sich willig fesseln, weil er sieht,
weder ein Mann noch eine Klasse, sondern das Volk selbst hält das Ende der
Kette“.
Schon die Bereitschaft, gegen Diktaturen aufzustehen, ist – auch
wenn es prominente Gegenbeispiele gibt – eher gering. Noch geringer ist jedoch
der Mut, dem lautstarken Nachbarn und Mitbürger zu widersprechen. Der Grund
dafür ist einfach: Menschen neigen zum Opportunismus. In der Psychologie ist
dieser Konformitätsdruck immer wieder beschrieben worden. Sehr anschaulich etwa
von Solomon Ash, der in den 50er-Jahren zeigte, wie Versuchspersonen unter dem
Druck von Mehrheitsmeinungen selbst empirisch Offensichtliches leugnen.
Gegen den Alleinvertretungsanspruch
Umso größer ist die Verantwortung der professionellen Politik. Ihr
kommt in einer Demokratie die Aufgabe zu, auch für die zu sprechen, die nicht
auf Demonstrationen gehen oder sich als Aktivisten organisieren. Ein
deutliches Gegensteuern gegen den gesellschaftlichen Alleinvertretungsanspruch von Fridays
for Future und seinem Umfeld wäre daher dringend erforderlich: um des sozialen Friedens willen, aber auch, um der großen
Gruppe der zähneknirschend Schweigenden eine Stimme zu geben.
Parteipolitisch wäre das eigentlich die Aufgabe der CDU. Aber den
Schneid, sich grüner und umweltpopulistischer Bewegungen entgegenzustellen, hat
die Union schon vor Jahren verloren. Viel zu lang hat man sich schwarzer-grünen
Träumereien hingegeben, mit der großstädtischen Yoga-und-Vegetarier-Fraktion
geflirtet und gemeint, daraus einen strategischen Vorteil ziehen zu können. Das
war von brutaler Naivität. Die Quittung für diese Fehleinschätzung wird
allerdings nicht nur die CDU bekommen, sondern die gesamte deutsche
Gesellschaft.
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