Sonntag, 22. September 2019

Wo bleiben die Gegendemonstrationen ?

Fridays for Future
Wo bleiben die Gegendemonstrationen?
KOLUMNE: GRAUZONE VON ALEXANDER GRAU am 20. September 2019 (CICERO)
Klimastreik und Fridays for Future sprechen nicht für die gesamte Gesellschaft, auch wenn das suggeriert wird. Eine große Zahl von Bürgern steht der Bewegung ablehnend gegenüber. Doch denen fehlt jede politische Unterstützung. Das wäre Aufgabe der CDU
Kritik ist die Voraussetzung von Demokratie. Denn ohne Kritik ist Demokratie überflüssig. Wo scheinbar ohnehin alle einer Meinung sind, braucht es weder Wahlen noch Abstimmungen. Insofern war der gestrige „Klimastreik“ von Fridays for Future ein Tiefpunkt in der Demokratiegeschichte der Bundesrepublik. Nachfragen? Kritische Zwischentöne? Selbstzweifel? Kontroversen? Auch nur eine zaghafte Debatte? Schön wär’s gewesen. Stattdessen marschierte die Einheitsfront der Klimabesorgten und Umweltbewegten marschierte, und es waren wirklich alle dabei: Schüler, Angestellte, Gewerkschaften, Arbeitgeber, Manager, Kirchen, Parteien und Vereine. Soviel angeblicher Konsens war nie.

Klimabedenken zweitrangig

Dabei zeigen alle Umfragen, dass dieser Konsens nicht existiert. Die vor wenigen Wochen erschienene Angst-Studie der R+V verwies darauf, dass Umwelt- und Klimasorgen für einen Großteil der Bevölkerung eher zweitrangig sind. Und auch eine am Mittwoch veröffentlichte Studie des Allensbacher Institutes für Demoskopie macht deutlich, dass der Eindruck eines politischen Konsenses eine mediale Chimäre ist. Zwar stehen 57 Prozent der Bevölkerung den Freitagsdemonstrationen positiv gegenüber. Das bedeutet aber zugleich, dass 43 Prozent der Menschen hierzu eine distanzierte Haltung haben – immerhin eine Größenordnung, auf die die ehemaligen Volksparteien voll Neid schauen müssten.
Fragt man konkreter nach, relativiert sich die Begeisterung der Menschen für Fridays for Future noch weiter: Nur 21 Prozent sind, so Allensbach, für die Einführung einer CO2-Steuer. Und selbst unter den Jüngeren ist nur eine Minderheit der Befragten davon überzeugt, dass Einschränkungen und höhere Belastungen helfen, die Klimaziele zu erreichen. Einig Greta-Land, wie von Aktivisten, Politikern, Medien und manchem Promi suggeriert? Weit gefehlt.

Woher rührt das Schweigen?

Dennoch traut sich kaum einer, sich dem scheinbaren Konsens und der Massenhysterie entgegenzustellen: nicht die Angestellten der potenziell betroffenen Industrien, nicht die Gewerkschaften, nicht die Menschen, die einfache gerne Auto fahren, nicht die CDU und nicht einmal die Industrie. Wo sind die Gegendemonstrationen? Wo die organisierte Gegenbewegung? Warum formiert sich das Bürgertum nicht? Woher der Opportunismus? Woher das Schweigen?
Die Antwort gab vor 179 Jahren der französische Publizist Alexis de Tocqueville in seinem berühmten, aber leider zu wenigen gelesenen Werk Über die Demokratie in Amerika: Über die Logik der Selbstzensur in Demokratien schreibt er dort: „Jeder einzelne lässt sich willig fesseln, weil er sieht, weder ein Mann noch eine Klasse, sondern das Volk selbst hält das Ende der Kette“.
Schon die Bereitschaft, gegen Diktaturen aufzustehen, ist – auch wenn es prominente Gegenbeispiele gibt – eher gering. Noch geringer ist jedoch der Mut, dem lautstarken Nachbarn und Mitbürger zu widersprechen. Der Grund dafür ist einfach: Menschen neigen zum Opportunismus. In der Psychologie ist dieser Konformitätsdruck immer wieder beschrieben worden. Sehr anschaulich etwa von Solomon Ash, der in den 50er-Jahren zeigte, wie Versuchspersonen unter dem Druck von Mehrheitsmeinungen selbst empirisch Offensichtliches leugnen. 

Gegen den Alleinvertretungsanspruch

Umso größer ist die Verantwortung der professionellen Politik. Ihr kommt in einer Demokratie die Aufgabe zu, auch für die zu sprechen, die nicht auf Demonstrationen gehen oder sich als Aktivisten organisieren. Ein deutliches Gegensteuern gegen den gesellschaftlichen Alleinvertretungsanspruch von Fridays for Future und seinem Umfeld wäre daher dringend erforderlich: um des sozialen Friedens willen, aber auch, um der großen Gruppe der zähneknirschend Schweigenden eine Stimme zu geben.
Parteipolitisch wäre das eigentlich die Aufgabe der CDU. Aber den Schneid, sich grüner und umweltpopulistischer Bewegungen entgegenzustellen, hat die Union schon vor Jahren verloren. Viel zu lang hat man sich schwarzer-grünen Träumereien hingegeben, mit der großstädtischen Yoga-und-Vegetarier-Fraktion geflirtet und gemeint, daraus einen strategischen Vorteil ziehen zu können. Das war von brutaler Naivität. Die Quittung für diese Fehleinschätzung wird allerdings nicht nur die CDU bekommen, sondern die gesamte deutsche Gesellschaft.

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